Gestatten Sie: Lieblingstürk‘. Das ist
mein Name. Ich bin geboren und aufgewachsen in der Bundesrepublik Deutschland der
1980er, politisch korrekt bezeichnet, bin ich eine Bildungsinländerin mit
Migrationshintergrund, seit einigen Jahren aber auch Deutsche mit
Migrationshintergrund.
Mein Etikett trage ich seit meiner
Geburt an mir. Wie auch SAP es erfordert, muss dieses „Label“ von Zeit zu Zeit
angepasst werden, um kompatibel zu funktionieren. Das tue ich. Ich bin angepasst
an die zeitgemäßen Erfordernisse, einer Produktlinie und gar der
Produktionslinie eindeutig zuzuordnen und gelange an die Konsumenten, in der
Form, wie sie es geordert hatten. Das System der Nachfrage und des Angebots
funktioniert.
Warum also über eine Optimierung
nachdenken?
Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass
Wertschöpfungsprozesse neu koordiniert werden müssen, um Nicht- wertschöpfende
Faktoren aus dem Produktionsprozess zu eliminieren, um wiederrum daraus eine
optimierte Produktionslinie aufbauen zu können, die den Wert des Produkts als indirekter
Faktor steigert.
Dies funktioniert sehr gut. Zumindest
in einem nivellierendem System.
Doch bevor ich in die Makroebene
einsteige, möchte ich auf der Mikroebene beginnen:
Das Individuum oder auch der Aktant;
Je nach dem, als „wer“ oder „was“ dieser Mikrofaktor definiert wird.
Wie eben erwähnt, bin ich in der
Bundesrepublik Deutschland der 1980er geboren. Ich war das Kind, das das
Krankenhauspersonal durch sein exotisches Erscheinungsbild faszinierte. Eine so
dichte Kopfbedeckung hatten meine Zimmergenossen nicht – und damit meine ich
nicht das nicht existente Kopftuch. Besondere Aufmerksamkeit kam mir zu Gute.
An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen damaligen Zimmergenossen
entschuldigen: Es war wirklich nicht meine Absicht, die Aufmerksamkeit aller
Beteiligten auf mich zu ziehen. Es war mein
erstes Label.
Doch alles rächt sich irgendwann.
Mein erstes Label also. Trug ich es
mit Stolz? Oder mit geneigtem Kopf? War es mir unangenehm? Oder spielte ich
damit, wie Säuglinge und Kleinkinder es tun, wenn sie das Einsatzvermögen ihrer
Finger erst einmal erfolgreich erforscht haben?
All das kann ich nicht aus meinem
damaligen kognitiven Vermögen beantworten. Doch die (Neuro-)Biologie und die
Sinnesforschung lieferten mir im späteren Leistungskurs Biologie der Oberstufe
des Gymnasiums interessante Ergebnisse:
Die Haut als hoch spezialisiertes
Sinnesorgan, auf dem mein erstes Label angebracht wurde: Die sensiblen
Rezeptoren der Haut, die durch Berührung aktiviert werden und diese an das
Gehirn weiterleiten, waren von nun an unter Daueraktivität. Das Label aktiviert
Prozesse, die von außen nicht eindeutig identifizierbar sind. Diese Prozesse
spielen sich im Gehirn als eine Art Hightech- Verarbeitungssystem ab, welches
nicht nur den Ort der Berührung lokalisiert, sondern auch die Art dieser.
Der Ort blieb also immer der Selbe,
nur die Art der Labelanbringung und das Label verändern sich stetig. So ist das
nun mal in einer Welt, die sich der Technologisierung verpflichtet hat. Alles
wird vereinfacht. Das mühselige Aufbringen eines Labels, was früher noch von
Hand geschah, übernehmen heute Maschinerien, die effizienter produzieren als es
ein Einzelner manuell je bewerkstelligen könnte.
Mein erstes Label war also gedruckt
und angebracht: Das Ausländerbaby.
Nun stellt sich nur die Frage: Von wem
oder was?
Meine Mutter, die noch das
Gastarbeiterkind war, hatte nun ein Ausländerbaby. Etwas verzwickt dieser
deutsche Begriffswald. Kein Wunder, dass nun nicht einmal mehr der Aktant weiß,
was er nun darstellt, welcher Linie er zuzuordnen ist.
Welches Lesegerät kann denn nun beide
Labels gleichzeitig lesen und dann auch noch das momentan gültige herausfiltern
und der erforderlichen Kategorie zuordnen? Falls es ein solches Gerät gibt,
bitte ich darum es mir zukommen zu lassen. Es würde mir mein gegenwärtiges
Leben enorm erleichtern.
Nun ja, da meine Mutter nun selber
nicht mehr so genau wusste, wer oder was sie sei, sahen meine Berührungen mit
dem neuem System, in dem ich von nun an leben sollte, schnittmengenorientiert
aus:
Nikolaus
wurde gefeiert, da die Mehrheitsgesellschaft dies tat, der werte Herr jedoch
aus dem heutigen Herrschaftsgebiet meiner Vorfahren stammt.
Das
Lamm als Agnus Dei und als Symbol des eid al adha,
führte dazu, dass ich vegetarisch leben wollte, nachdem seine Beine mich aus
einer Tüte angesehen hatten. Dies hatte den positiven Nebeneffekt, dass ich die
Frage, ob ich Schweinefleisch essen würde, mit dem Verweis auf mein
vegetarisches Leben abtun konnte. Zwar war dies nicht die erwartete und zufriedenstellende
Antwort, aber es war eine Antwort auf die Frage.
Auch
das Erlernen mir damals fremder Sprachen war ein Leichtes für mich; durch die
Kenntnisse über die französischstämmigen Begriffe meiner Erstsprache und den
erfolgreichen Erwerb meiner Zweitsprache bastelte ich mir meinen französischen
Sprachschatz zusammen. Die Kenntnisse über das System der Altaisprachen und das
der indogermanischen Sprachen führten zu meinen ersten erwähnenswerten und vermögenswirksamen
Verdiensten. Wenn diese auch nur in Form veralteter medialer Geräte bestehen,
so waren es die zur genannten Epoche nötigen Utensilien zur Verdeutlichung des
Markenbewusstseins.
Sogar mein Reiseverhalten war
kompatibel mit dem der Aufnahmegesellschaft. Urlaub in dem Herkunftsland meiner
Vorfahren zu machen, wurde auch für die Mehrheitsgesellschaft meines Systems
Trend. Ich fiel nicht mehr auf. Meine Postkarten glichen den meiner Mitschüler
und tapezierten die ebenmäßige Pinnwand des Klassenzimmers mit der Aufschrift „Ich
komme aus…“.
Wie durch diese kurzen Anekdoten
deutlich wird, war die Schnittmenge aller das Individuum berührender Faktoren
das, was das Leben eines Ausländerkindes einer Gastarbeitertochter ausmachte.
Schnittmengenorientierung war das
geheime Produktionskonzept eines nivellierenden Produktionsprozesses für die nun
auf dem Markt kursierenden Prototypen, die die bisherigen Qualitätskontrollen
ausgezeichnet bestanden haben. Diese aber wettbewerbs- und marktfähig zu machen,
erfordert weitere Optimierung im Hinblick auf die Massenproduktion von
funktionsfähigem Humankapital.
Der Schnitt als symboltragendes
Element durchzog sich nicht nur durch die in Deutschland getrennt lebende
Gesellschaft, deren Grund damals die physisch existente Mauer war, heute jedoch
das psychisch wiederaufgebaute Update der Mauer ist, sondern auch durch meine intergenerierte
Identität.
Intergeneriert. Wieder ein solches
Wort, das alles und nichts bedeutet. Wieder ein solch neumodischer Quatsch. Zu
allem Übel gibt es auch noch eine Bezeichnung für solche Quatschwörter:
Neologismen. Damit messen wir diesem Quatsch doch bloß wieder eine Bedeutung
bei und machen es dadurch erst bedeutungstragend! Recht haben Sie, die das hier
lesen. Denn genau das ist die Aufgabe und die Funktion zugleich: Bedeutung
beimessen.
Ebendieselbe Aufgabe und Funktion, die
auch die Existenzlegitimation des Labels ist.